2010 landete "Schnauze Wessi" auf der Shortlist für den Henri-Nannen-Preis, humorvollerweise in der Kategorie "Humor". Mein kleine Reportage über die Preisverleihung im Mai 2011 war der einzige Text in sechs Jahren Kolumne, der seinerzeit nicht im Stern oder auf stern.de erscheinen durfte. Das letzt Wort im Streit darüber hatte der Stern-Chefredakteur: "Wir gießen uns doch nicht auch noch selbst einen Eimer Jauche über den Kopf."
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Vor ein paar Tagen hätte ich in Hamburg einen Preis kriegen müssen. Und wer hat ihn am Ende wieder mal bekommen? Genau. Wie es sich gehört, gratuliere ich trotzdem von Herzen.
War ja klar: Nur Westdeutsche da. In der Jury, im Publikum. Ganz Hamburg ist voll mit dem Pack! Aber ich wollte nicht jammern, das liegt Ostdeutschen nicht. Unsereins ist ja schon froh, wenn er überhaupt mal bei so einer Veranstaltung dabei sein darf. Mit Servietten, Prominenten und so. Einmal stand meine Frau sogar kurz neben Marietta Slomka. Der Mann von Jette Joop war auch da - im Grunde alles mit Rang und Namen im westdeutschen Journalismus: Stefan Aust und Justus Frantz, Ursula von der Leyen und Albert Darboven, Guido Knopp vom ZDF und Hermann Otto Solms von der FDP, Jörges und Jorge, Heidis Laufsteg-Stelze.
Es war die Jahreshauptversammlung der Wichtigtuer - und wir mittendrin!
Es gab warmes Essen, viele warme Worte und ein Hotel mit lauwarmem Wasser. Bis auf die Pornos alles umsonst. Gleich neben dem Hamburger Schauspielhaus, wo der Henri-Nannen-Preis in diesem Jahr die gedruckte Wahrheit beschwor waren wir untergebracht. Das Hotel „Reichshof“ hatte auch schon bessere Zeiten gesehen. Statt Arschlocken der Gäste vor uns hätten in den braun gefliesten Bädern genauso gut ermordete Agenten des kalten Krieges liegen können. Für die Gäste aus Leipzig aber stand extra eine Obstschale da. Sogar daran, dass wir für die Gala sicher noch etwas zum Anziehen bräuchten, hatte man gedacht und uns das hinterste Zimmer zum Hof mit einem schönen Blick auf den Textil-Discounter Kik reserviert.
„Smoking“ stand kategorisch auf der Einladung und nach 20 weltläufigen Jahren hatten wir selbstverständlich genug Zigaretten dabei. Ein wenig enttäuscht waren wir von den langen Schlangen am Einlass und den vielen Kellnern, die sich mit Fliege und Frack wie in DDR-Gaststätten selbst wie Gäste aufspielten – und natürlich, nun kann ich es ja sagen, dass ich den Preis für „Schnauze Wessi“ nicht mit eben diesen Worten ablehnen durfte.
Ich hätte ihn verdient und bin trotzdem, das darf man keinesfalls falsch verstehen, weder beleidigt noch ein schlechter Verlierer. Wir Ostler sind sogar richtig gut darin: Erst mussten wir den verlorenen Krieg allein ausbaden. 40 Jahren Hunger und Stacheldraht. Dann verloren 1990 fast alle Arbeit und Würde, den Glauben an Freiheit und Gerechtigkeit sowieso. Immer zweite Welt, immer zweite Wahl. Aber hört man uns klagen?!
Meine Glaubwürdigkeit wäre für läppische 5000 Euro nicht zu haben gewesen, zumal das Umtauschrecht offenbar nur für Kolportagen gilt. Sogar auf Französisch hatte ich meine Rede vorbereitet und wohl den Zettel verloren, denn die Kollegen der Pariser Wochenzeitung „Le Canard enchaîné“ benutzten fast genau meine Worte, als sie ihren Preis in der Kategorie Pressefreiheit aus grundsätzlicher Unabhängigkeit ablehnten.
Einige meiner Stichpunkte allerdings ließen selbst die mutigen Franzosen weg: Die Frage, zum Beispiel, wieso BMW und Bacardi als „Partner“ dieser Show der Pressefreiheit auftraten? Oder ob sich der Hamburger Medien-Adel nicht schämt, den Namen des Kommunisten Egon Erwin Kisch Jahr für Jahr mit Champagner zu besudeln? Gar nicht zu reden von der Vergangenheit des anderen Namengebers oder für dem VIP-Schmuck aus Politik und Fernsehen.
Schon bei der Nominierung von „Schnauze Wessi“ wusste ich nicht mehr, wer hier eigentlich wen veralbert: Kategorie Humor! Als wenn es noch irgendwas zu lachen gäbe in den besetzten Ländern. Ich denke mir doch nichts davon aus oder pfistere mir etwas zusammen! Zurückpöbeln wollte ich einmal, mehr nicht. Ist das nun Größe oder Masochismus, wenn sie einen dafür auch noch auszeichnen wollen? Das, was sie Meinungsfreiheit nennen oder der Gipfel der Arroganz? Egal, was es ist - man darf es sich jedenfalls nicht gefallen lassen.
Dokumentation wäre die einzig akzeptable Kategorie gewesen und ich wollte schon aufspringen, als der Beitrag „Ein deutsches Verbrechen“ aufgerufen wurde. Aber es ging gar nicht um die Wiedervereinigung, sondern nur um die Luftschläge von Kunduz. Den Preis für Investigation hätte ich auch noch gelten lassen, obwohl Christine Kröger vom Weser-Kurier den westdeutschen Rechtsstaat in ihrem Beitrag ünrt korrupte Staatsanwälte auch ziemlich treffend beschrieb. Vor dem Lebenswerk Wolf Schneiders verneige ich mich sowieso. Seit Jahrzehnten sagt er nichts anderes als „Schnauze Wessi“, wenn sie sich spreizen, schwafeln oder schwindeln. Dass er vor 86 Jahren in Thüringen zur Welt kam, nimmt ihm trotzdem niemand mehr übel. Sogar ich durfte zu seinen Schülern gehören.
Es ist nicht seine Schuld, dass es bei mir nicht mal für den Foto-Preis reicht. Und wie gesagt: Es macht mir auch nichts aus. Wir sind das gewöhnt. Ich lache darüber! Ein „Henri“ – na und?! Es ist nur ein Kopf aus zerknitterter Bronze, die Miniaturausgabe seines alten Freundes im Berliner Willy-Brandt-Mausoleum. Versöhnung. Zusammenwachsen. Lächerlich!
Meine Frau wollte mich dennoch trösten: Die seien zwar alle ganz schön blöde hier, flüsterte sie in einer Smalltalk-Pause über die gestiegenen Babysitter-Preise auf Sylt, aber so blöd, für Beleidigungen auch noch Preise zu vergeben, dann eben auch wieder nicht. Das glaube ich nicht. Ich meine, dass solche Kriterien zählen. Ethnische Vorbehalte vielleicht oder Weltanschauungsfragen, damit kann ich leben. Geschenkt! Und natürlich gratulierte ich auch dem Sieger „meiner“ Kategorie aufrichtig.
Hans Zippert ist ein verdienter Humorist. Diesmal hatte er über seinen ersten Schlaganfall geschrieben und dafür schon den zweiten „Henri“ bekommen. Niemand bezweifelte, dass er tatsächlich im Krankenhaus war - er ist ja nicht beim Spiegel. Und auch bei mir - ich kann es nicht oft genug betonen: Keine Spur von Neid oder Missgunst. Ehrlich! Solche schäbigen Gefühle kennen Ostdeutsche gar nicht. Vielmehr gebe ich offen zu: Wenn ich auch mal so alt und krank bin wie er, möchte ich genauso lakonisch mit Tod und Gebrechen umgehen können: Hätte er sein Zipperlein nicht überlebt, so verriet er dem Publikum lässig, könnte er schließlich keine Preise mehr gewinnen. Und selbstverständlich verbot sich mir in diesem Moment jeden Gedanken daran, wer ihn dann vielleicht bekommen hätte.
Wäre es anders, könnte ich das auch zugeben - wir stehen nämlich zu unseren Gefühlen. Dann würde ich einfach über diese Kränkung schreiben, vielleicht sogar mit dem Wort Schiebung in der Überschrift. Ich würde womöglich eine in Wahrheit glänzende Veranstaltung madig machen und mit diesem galligen Text nächstes Jahr gewinnen. Die journalistische Verarbeitung persönlicher Traumata scheint ohnehin im Trend zu liegen.
Bewundernswert schamlos schilderte etwa eine Kollegin aus Berlin (West) ihre Ohnmacht nach einem brutalen Überfall durch drei Jugendliche. Vielleicht hätte sie nicht unbedingt erwähnen müssen, dass die Täter „Brandenburger Nachwendekinder“ waren - das schürt nur Ressentiments. Aber allein ihr Mut zur Opferperspektive ist ein völlig neuer Ton in der Besserwisser-Branche. Ein Spiegel-Reporter verschleppte die Jury gar in den Hobbykeller von Horst Seehofer und alle hatten hinterher das Gefühl, sie hätten dort selbst mit „Am Stellwerk“ der Modelleisenbahn stehen müssen. Schlaganfälle, Überfälle, Borderline-Symptome – alles grauenhafte Erlebnisse, die man nicht mal westdeutschen Kollegen wünscht. Dann lieber einen ehrlichen 3. Platz.
Man wolle heute Menschen ehren, sagte mein Oberverleger in seiner Rede, „die für Qualitätsjournalismus stehen.“ Damit - immerhin - meinte er auch mich, beziehungsweise die Klicks für „Schnauze Wessi“. Gesagt habe ich es an diesem Abend trotz etlicher Gelegenheiten dann doch zu keinem. Wir Journalisten sollten uns ja mal richtig feiern lassen, wie es immer wieder hieß, und damit wir das am Stehbuffet ungestört tun konnten, zogen sich die Verleger mit den wichtigsten VIPs und Anzeigenkunden diskret in ein Keller-Separée zum Diner zurück. Echte Reporter durften da nicht hin.
Und so feierten wir alle miteinander unsere Unabhängigkeit voneinander. Politiker, Anzeigenkunden, Fernsehgesichter. Überall standen Bacardi-Büchsen rum. Zum Schluss haben wir uns mit einem dicken BMW noch drei mal um den Block fahren lassen, vorbei an den vielen Junkies von St. Georg. Ein herrliches Auto übrigens, wenn man das mal sagen darf, und selbstlos nett von Bacardi, die Arbeit der freien Presse auf diese Weise zu fördern. Dazu noch der Bademantel und die ganzen Shampoo-Fläschchen aus dem Hotel, was man eben so mitbringt aus dem Westen. Am Ende hätte der blöde Bronze-Kopf gar nicht mehr in unseren Koffer gepasst.
Holger Witzel, Mai 2011
Dieser Text erschien 2014 in "Heul doch Wessi" (Eulenspiegel Verlag, leider vergriffen) und wird demnächst noch einmal neu aufgelegt im Sammelband "Besser Ossi".
Das Beste aus "Schnauze Wessi" und "Gib Wessis eine Chance" gibt es jetzt auch wieder als Taschenbuch - ein kleiner Trost für alle Fremden im eigenen Land und natürlich immer das passende Geschenk für Vermieter, Chefs und Kolonialbeamte. Überall im Buchhandel.
ISBN 9783757926700, 212 Seiten, € 14,99